Gamsjagd 2019 ist Geschichte...

Berner Oberland, Ende September 2019

 

 

Die Gamsjagd neigte sich dem Ende zu - nur noch einige wenige Tage. 

...und ich hatte immer noch ein Tier zu gut.

An meinem ersten Jagdtag, zusammen mit einem Jungjäger, konnte ich den Gamsbock erlegen.

Einen weiteren Tag war ich alleine im Gebirge unterwegs. Ich blieb ohne Beute, kehrte jedoch mit einem vollen Herzen nach Hause zurück.

Nun hatte mir ein guter Freund - mit dem ich schon lange zusammen jage - angeboten, mich einen Tag lang zu begleiten.

Das beste Jagd-Team, das ich mir vorstellen kann. Wir fuhren hoch, bis zum Ende der Strasse. Um 5.30 marschierten wir los, um vor Tagesanbruch oben an den Felsen zu sein. Diese Seite des Tales war mir unbekannt und zum Glück war es dunkel und ich habe unser Ziel nicht gesehen, sonst hätte ich mich womöglich ans Auto gekettet. Nach dem happigen Aufstieg - mal auf einem Wanderweg, mal auf einem Bergweg, quer Feld und Fels ein - also ich weiss es nicht so genau, denn im Schein meiner roten Lampe sah ich kaum bis zu den Fussspitzen - kam ein Plateau, dann noch ein Aufstieg, "gredi obsi" auf allen Vieren. Glücklicherweise war das Gras nicht so hoch. 

Denn steile Grashänge sind nicht ohne Gefahr. In Gedanken habe ich bereits meinen Nachruf verfasst - ich schnaufte wie eine alte Dampflok.  Endlich oben, keine Kraft mehr – trockene Kleider, Tee und Energygel aus der Tube haben meine Lebensgeister wieder geweckt und die Energiespeicher aufgefüllt. Also Energygel ist nicht gerade etwas, das ich im Rucksack mitführe. Ich habe lieber ein Stück Speck oder Trockenfleisch. Aber ich war wirklich froh über das klebrige süsse Zeug. Als Notmahlzeit bevorzuge ich Müsliriegel oder Fruchtschnitten – die dann Ende Jagd zerkrümelt und zerfleddert unten im Rucksack zum Vorschein kommen. Mittlerweile dämmerte es.

Dann hiess es Warten bis sich der Nebel lichtete.

Wir sassen windgeschützt hinter einem grossen Stein auf unseren Pellerinen.

Als ich dann sah, wo ich mich befand, war ich überwältigt von der Schönheit der Wände direkt vor mir und der Aussicht hinter und vor allem unter mir. Den Gedanken an den Abstieg versuchte ich zu verdrängen.... 

Es wurde ein Spektivtag, ein Ansprechtag.

Wir blieben lange bei dem Stein sitzen und ich konnte wieder viel von meinem Kameraden lernen. Wir sahen überall Gämsen, vereinzelte Tiere, kleine Familienverbände, weit oben, weit hinten – doch mit dem Spektiv hatten wir tollen Anblick.

Wir versuchten dann doch noch anzugreifen.

Aber wir kamen nicht näher als 380 Meter an die Tiere heran.

Geissen, Kitz, Jahrtiere, ein galtes Guschtli... oben in den Felsen, unerreichbar für uns. Wild, scheu und sehr wachsam in einem Gebiet, wo es keine Wanderer hat, dafür natürliche Feinde... Und doch sahen wir nicht die Bestände, wie sie noch vor ein paar Jahren anzutreffen waren. Die Strapazen hatten sich definitiv gelohnt – durchs Spektiv konnte ich oben auf einem Felsvorsprung  Geissen, Jährlinge und Kitze ausmachen, dahinter die Felsen diffus im Nebel – genau wie der Wildmaler Moser es gemalt hätte.

Ich bekam Gänsehaut.

Ich dachte zuerst, ich sehe durchs Spektiv das Bild in meiner Stube.

 

Wir stiegen dann ab zum unteren Boden...

Gämsen!

Deckung hinter einem Felsen – sie hatten uns noch nicht gesehen. Aber sie zogen weiter, von uns weg – und wir hinterher.

Mal wieder auf Knien, auf allen Vieren, auf dem Bauch, dann über einen Wechsel. Aber wir kamen ihnen nicht näher und sie waren schon bald weit oben in den Felsen.

Hier stellte sich nun langsam die Frage, ob wir warten sollten, bis die Tiere gegen Abend wieder runterkamen oder ob wir bei Tageslicht absteigen sollten, zurück zum Auto. Wir entschieden uns für den langen Rückweg. Weiter unten konnte der erfahrene Jäger noch ein Murmeltier strecken.

Ich hätte auch eines erlegen dürfen, liess es aber bleiben.

Auf dem Weg zur Alp kam ich mal wieder an meine Grenzen. Die letzten paar Hundert Meter zum Auto hatte ich Tränendrüsen in meinen knorpellosen Kniegelenken... zu gern und ohne schlechtes Gewissen liess ich mir mit meinem Rucksack und Gewehr helfen. 

Voller Eindrücke und überwältigt von diesem Tag, konnte ich kaum schlafen.

Obwohl ich wieder keine «Beute» machen konnte, war es wohl der beste Gamsjagdtag, den ich in elf Gamsjagdjahren erleben durfte. Die Beute, die Gamsabschüsse sind bezahlt, dem Staat möchte man nichts schenken.

Doch Beute ist nicht das Wichtigste!

Es zählt das Jagderlebnis, nicht die Trophäe. Und Beute ist für mich Fleisch, bestes Biofleisch – mehr Bio geht nicht. Hinter jedem Teller Gamspfeffer, der während der Wildsaison serviert wird, steckt eine Geschichte. Es ist ein absolutes Privileg, ein solches Naturprodukt nutzen und geniessen zu dürfen.

 

 

Zuhause schaue ich hoch zum Bild von Wildmaler Moser und bekomme Gänsehaut.