Drückjagd: viele Fragen, aber eine entscheidende wird nicht gestellt!
Als erfahrener Drückjagdschütze bekomme ich immer sehr viele Einladungen. Das für mich Interessante dabei sind die Fragen. Da wird zum Teil gefragt, ob der Hund gegen das bolivianische Fleckfieber geimpft ist oder ob man auf dem Jagdhorn das Signal „Wüstenspringmaus tot“ pfeifen kann. Spaß beiseite. Die meisten Fragen sind durchaus sinnvoll. So zum Beispiel, ob der Hund kurz jagt, ob ein GPS gestellt werden soll oder ob der Hund im Treiben mitgeht oder vom Stand geschnallt wird.
Story by "Dude"
Seit Jahren vermisse ich jedoch eine kleine, dabei aber sehr wichtige Frage:
Mit WELCHEM ZF wird der Schütze an der Drückjagd teilnehmen?
z.B. Kimme/Korn, Reflexvisier wie z.B. Docter Sight, Drückjagdglas, variables Glas wie z.B. 3-12x56 oder starres Glas wie z.B. 8x56
Hintergrund: Nach gründlicher Recherche fand ich heraus, dass nur 17% der Jäger auf den Drückjagden eine Drückjagdoptik oder ein Reflexvisier benutzen. Der große Rest verwendet variable Gläser wie z.B. 2,5-10x50 oder 3-12x56. Ein Drückjagdglas macht aus einem Jäger nicht sofort einen besseren Drückjagdschützen, aber wenn der Veranstalter von Anfang an weiß, welcher Jäger welche Optik verwendet, dann kann er die Jäger dementsprechend besser bzw. optimaler positionieren. Erst kürzlich saß ich auf einer Drückjagd mit meinem 1-6x24 Drückjagdglas auf einer 6 Meter hohen Kanzel am Wald/Feldrand während mein Jagdfreund mit einem 3-12x56 einen Bodenstand mitten zwischen zwei Dickungen hatte. Finde den Fehler!
Aber nicht nur die Position bzw. Schussentfernung gilt es zu bedenken sondern auch die Ansitzeinrichtung selbst. Letztes Jahr war ich mit meinem 1-6x24 Drückjagdglas zwar mitten im Wald gesessen, aber wieder mal auf einer 6 Meter hohen Kanzel mit 3 kleinen Schießlöchern, während ein anderer Jäger mit einem 3-12x56 Glas ein paar Meter weiter auf einem Drückjagdbock stand und hoffnungslos überfordert war, wenn Reh oder Sau auch nur ein wenig in Bewegung war.
Ich denke dass mit der kleinen Zusatzfrage: „Mit welchem Glas werden Sie an unserer Jagd teilnehmen?“ jeder Veranstalter seine Jäger deutlich optimaler positionieren kann und somit auch der Streckenerfolg dadurch gesteigert wird.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf ein paar Vor-/Nachteile der jeweiligen Optiken eingehen. Meine Gedanken haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Nur die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte werden hier genannt. Ich gehe auch nur auf die 3 wichtigsten Gläsertypen ein. Über die Verwendung eines starren 8x56 Glases auf einer Drückjagd brauche ich wohl kaum ein Wort zu verlieren, obwohl ich dieses Glas auch bereits auf Drückjagden gesehen habe. Natürlich kann man mit einem Traktor auch bei einem Formel-1-Rennen starten. Wahrscheinlich kommt man auch ins Ziel. Aber über die Sinnhaftigkeit brauchen wir nicht zu philosophieren.
Glas Nr. 1 (Bild 1): Variables Standardglas
Fangen wir deshalb mit dem meist verwendeten Glas auf einer Drückjagd an. Dem berühmten „Arbeitspferd“ 3-12x56. Bis zur Jahrtausendwende war dieses Glas das Maß aller Dinge und auch ich fing damit an. Wie bei jedem Allround-Gerät kann es alles, aber bei speziellen Fällen offenbaren sich Defizite. In den meisten Fällen kneift der Schütze das linke Auge zu (wir gehen von einem Rechtsschützen mit rechtsdominantem Auge aus). Dies tut er meist auch bei 3facher Vergrößerung. Er nimmt sich damit selbst jedoch sehr viel Sichtfeld/Überblick weg. Und wenn die berühmte Sau 10 Meter am Stand vorbei rennt, dann sieht man selbst bei 3facher Vergrößerung im wahrsten Sinne des Wortes schwarz.
Fazit: Wenn man nur wenige Drückjagden im Jahr hat, dann kann man damit arbeiten, aber wenn man im Bereich von einer zweistelligen Anzahl von Drückjagden ist, dann sollte man sich dringend überlegen ob man nicht zu Glas 2 oder zu Glas 3 greift.
Glas Nr.2 (Bild 2): Das Reflexvisier
Mein zweites Glas war dann ein Reflexvisier. Das Reflexvisier hat den riesengroßen Vorteil, dass man bequem mit beiden offenen Augen schießen kann. Somit hat man deutlich mehr Überblick und durch diesen kann man auch nähere und schnellere Ziele erlegen. Aber es hat auch Nachteile, vor allem für die Generation Ü50. Mein erstes Reflexvisier war ein Aimepoint mit einem 4-MOA-Punkt. Heutzutage gibt es 2-MOA-Punkte (nur halb so groß), aber damals war 4-MOA Standard. Rein rechnerisch deckt ein 4-MOA-Punkt „nur“ ca. 12cm vom Ziel auf 100m ab. Die Praxis zeigt aber, dass es doch mehr ist. Und vor allem wenn man die Lichtstärke des Rotpunktes sehr hoch dreht, da die Sonne oftmals stark scheint und zusätzlich der Schnee reflektiert. In diesem Falle verdeckt der Rotpunkt bei einem Reh auf 100m gefühlt den gesamten Brustkorb bzw. Zielbereich.
Auf Bild 2 ist eine Interessante Kombination zu sehen. Ein Docter Sight (siehe schwarzer Pfeil) auf einem variablen ZF. Dies war anfangs nur als Notlösung gedacht, stellte sich aber als durchaus praktikabel heraus. Man sollte aber evtl. einen verstellbaren Schaftrücken (siehe roter Pfeil) nachträglich anbringen lassen so wie in dem gezeigten Bild-Beispiel. Ohne den verstellbaren Schaftrücken musste ich mein Kinn exakt auf die obere Kante des Schaftrückens platzieren. In dieser (ungewohnten) Position schaute ich aber perfekt durch das Docter Sight. Da diese Position für den durchschnittlichen Jäger sehr ungewohnt ist, muss dies in besonders starkem Maße trainiert werden. Und damit meine ich mehr als den einmalig obligatorischen Schießkinobesuch im Herbst.
Leider unterliegen auch die Augen des Jägers einem degenerativen Prozess. So stellte ich fest, dass es für den Ü50 Jäger eine noch bessere Alternative gibt, nämlich Glas Nr. 3.
Glas Nr.3 (Bild 3): Das Drückjagdglas
Das klassische Drückjagdglas. Vor allem die Ü50 Generation wird es zu schätzen wissen. Manchmal sieht man ein Reh in einer Dickung verschwinden wo es dann stehen bleibt. Man weiß genau wo das Reh steht, aber man sieht es nicht mehr. Durch die Vergrößerung habe ich in diesem Fall so manches Reh „wieder entdeckt“ und somit erlegt. Natürlich verbietet es sich, quer durchs Gebüsch zu schießen, aber gerade bei Dickungen in gegenüberliegenden Hanglagen ergab sich dann doch ein freies Schussfeld. Ich gebe zu, dass dies nicht sehr oft vorkommt, aber wenn es vorkommt, hat man dann doch die Chance zum Schuss zu kommen.
Nachteile der Drückjagdoptiken ist zum einem der Preis. Eine Top-Drückjagdoptik beginnt meist erst bei 1.600 Euro. Ob sich dies bei 3 Drückjagden im Jahr lohnt muss jeder selbst für sich entscheiden. Ein weiterer Nachteil ist die Tatsache, dass, wenn das Drückjagdglas auf einer niedrigen Montage montiert wird, der Schalldämpfer gefühlt das halbe untere Sehfeld bei einfacher bzw. bei null Vergrößerung verdeckt. Dies ist vor allem anfangs sehr störend, wenn man das Gefühl hat, dass man nur Schalldämpfer sieht. Diesen Nachteil hat man natürlich auch bei einem niedrig montierten Reflexvisier.
Wichtig: Das wichtigste ist und bleibt aber das Training. Mir persönlich ist ein Drückjagdschütze mit einem 3-12x56 mit 10 Schießkinobesuchen lieber, als ein Schütze mit einem Drückjagdglas, der meint, dass einmal trainieren ausreicht, da er ja so ein tolles Glas hat.
Waidmannsheil
Euer Dude
Über den Autor: Der Autor Dude jagt seit 1995. Er wird sporadisch (je nach Lust und Laune) hier im Blog über Präzision schreiben. Dude (aus dem Englischen bedeutet so viel wie Kumpel) hat neben der Schweizer auch noch eine weitere Staatsbürgerschaft. Da er wahrscheinlich der einzige Schweizer Afghanistan Soldat mit Kombattanten-Status war, möchte er verständlicherweise anonym bleiben. In Afghanistan bildete er als Fallschirmjäger u.a. auch Gruppenscharfschützen im Einsatz aus. D-es Weiteren hatte er noch mehrere militärische Einsätze auf dem Balkan.